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Bis
in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein gehörten Frauen
traditionell nicht in die akademische Welt. Nur sehr zögerlich brachen
verkrustete Strukturen langsam auf und veränderte sich das universitäre
Rollenbild. Unter dem Titel „Bildung und Gleichberechtigung. Die
Anfänge des Frauenstudiums an der Universität Heidelberg"
legt der Heidelberger Historiker Marco Birn erstmals eine ausführliche
Untersuchung zu dieser Thematik vor. Morgen wird sein Buch im Universitätsarchiv
vorgestellt und eine Ausstellung zum Thema eröffnet. Diese zeigt
zentrale Aktenstücke aus dem Archiv und verdeutlicht die Diskussion
um die Zulassung von Frauen zum Studium. Darüber hinaus werden auch
einige der ersten Studentinnen an der Ruperto Carola vorgestellt. Zu der
Eröffnungsveranstaltung mit Buchpräsentation lädt der Freundeskreis
für Archiv und Museum der Universität Heidelberg ein.
„In Heidelberg
erkannte eine anfangs noch sehr kleine Gruppe von Professoren, unter ihnen
vor allem Naturwissenschaftler, das intellektuelle Potenzial junger
Frauen, die sich gegen erhebliche Widerstände um einen Zugang zur
Universität bemühten", erklärt Marco Birn. Mit
der Russin Sofja Kovalevskaja fand 1869 die erste Hörerin Zugang
zur Ruperto Carola. Doch schon bald wurde der „misslichen und störenden
Erscheinung" wieder Einhalt geboten, wie der Heidelberger Historiker
erläutert. Erst als am Ende des Jahrhunderts schließlich auch
weibliche Schulabgänger mit Reifezeugnis die gleichen Bildungsansprüche
einfordern konnten wie männliche Abiturienten, regelte Baden zu Beginn
des Jahres 1900 als erstes Land in Deutschland die ordentliche Immatrikulation
von Frauen.
Im folgenden
Sommersemester gehörten zu den regulär Studierenden der Universität
Heidelberg erstmals vier junge Damen. Unter ihnen auch Rahel Goitein.
Sie studierte als erste Frau an der Medizinischen Fakultät. Allerdings
wurden die Frauen „zunächst nur Versuchs- und probeweise"
an der Ruperto Carola immatrikuliert. Doch schon sehr schnell entwickelte
sich das „Experiment Frauenstudium" zu einer Erfolgsgeschichte.
„Die Universität Heidelberg war nicht nur ein Vorreiter auf
dem Weg hin zu gleichberechtigten Bildungschancen, sie war lange Zeit
die bei den jungen Studentinnen beliebteste Universität Deutschlands
mit einem weit überdurchschnitt-lichen Frauenanteil", sagt Marco
Birn.
Der Zeitraum seiner Untersuchung, die vom Freundeskreis für Archiv
und Museum der Universität Heidelberg gefördert wurde, reicht
von den Anfängen der Diskussion um Akademikerinnen im 19. Jahrhundert
über die ersten Hörerinnen und Promotionen bis hin zu Lebenswelt
und Studienalltag der ersten regulären Studentinnen. Neben den historischen
Quellen in den Akten des Universitätsarchivs werden auch die autobiografischen
Schriften der ersten Heidelberger Studentinnen berücksichtigt.
In seinem Vortrag zur Eröffnung referiert der Autor über „Das
Frauenstudium in Heidelberg im Spiegel biografischer Quellen". Die
Eröffnungsveranstaltung am 17. April findet im Universitätsarchiv,
Akademiestraße 4-8, statt und beginnt um 18.30 Uhr. Die Ausstelung
(bis zum 9. August), ist dienstags und mittwochs von 9 bis 18 sowie donnerstags
von 9 bis 12.30 Uhr geöffnet.
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Von Arndt Krödel |
Ein
persönliches Aufsuchen des Dozenten in seiner Wohnung war notwendig,
um dessen Erlaubnis einzuholen, als Hörerin an seiner Vorlesung teilzunehmen:
Frauen hatten es vor knapp 150 Jahren schwer, wenn sie ihren Wunsch umsetzen
wollten, ein Studium an der Heidelberger Universität aufzunehmen.
Die akademische Welt war den Männern vorbehalten, und entsprechend
einseitig waren schon die Zulassungs-voraussetzungen formuliert - Frauen
kamen überhaupt nicht vor. 1869 gelang es der Russin Sofja Kovalevska
ja als erster Frau, das männliche Bollwerk Ruperto Carola zu knacken
und Mathematikvorlesungen bei Leo Koenigsberger zu besuchen. Weitere Hörerinnen
folgten ihr, vor allem in den Naturwissenschaften.
Über diese
Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche auf akademischer Ebene hat der
Historiker Marco Birn ein Buch geschrieben, das unter dem Titel „Bildung
und Gleich-berechtigung" die Entwicklung des Frauenstudiums an der
Universität Heidelberg bis 1918 verfolgt. Bei einer Veranstaltung
im Universitätsarchiv, wo bis 9. August eine Aus-stellung zu diesem
Thema gezeigt wird, stellte der Autor seine Untersuchung im Spiegel biografischer
Quellen vor. Deutschland war seinerzeit, was die volle Zulassung von Frauen
zum Studium betraf, in Europa das Schlusslicht. Immerhin war das fortschrittliche
Land Baden das erste im deutschen Kaiserreich, das im Sommer 1900 Frauen
zur Immatrikulation zuließ.
Die
Gruppe der weiblichen Studierenden in Heidelberg war gerade zu Beginn
alles andere als homogen, wie Birn feststellte: Zum einen gab es die jungen
Abiturien-tinnen, zum anderen viele ältere Frauen - Lehrerinnen oder
Intellektuelle, die schon vorher in der Frauenbewegung aktiv waren.
Es studierten sowohl Töchter aus wohlha-benden Familien als
auch solche, die größere Probleme hatten, ihren Lebensunterhalt
zu bestreiten. Zu ihnen zählte die in Karlsruhe geborene Rahel Goitein,
erste Medizin-studentin der Heidelberger Universität. Geld hatte
sie eigentlich nie, wie sie selbst später schrieb. Ohne Unterstützung
ihres Onkels hätte sie das teure Medizinstudium nicht absolvieren
können, während des Grundstudiums verdiente sie durch Nachhilfe
dazu.
Die
meisten Frauen wohnten in einfachen Zimmern. Viele wechselten während
des Studiums mehrfach ihre „Bude", wie der Autor berichtet.
Elisabeth Flitner, Studentin der Nationalökonomie, die während
des Ersten Weltkriiegs nach Heidelberg kam, be-klagte: „Die Häuser
waren verwohnt, die Zimmer altmodisch, mit abgerissenen Tapeten und trüben
Fenstern". Auch die Emährungslage war für die weniger Betuchten
unter den Studentinnen nicht gerade rosig. Oft mussten sie auf eine warme
Mahlzeit am Tag verzichten. Die Eröffnung der Mensa war dann ein
Fortschritt.
Und
wie reagierten die Studenten auf ihre weiblichen Kommilitonen? Die meisten
begegneten den Frauen des gleichen Standes als „potenzielle Heirats-kandidaten",
beschreibt der Autor ihren Rückgriff auf „erlerntes Ballsaalverhalten",
andere zeigten zunächst „eine freundliche Distanz". Die
Studentin Käte Frankenthal konnte keine Feindseligkeit seitens der
Männer feststellen, allerdmgs auch keine Rücksichtnahme, „eher
im Gegenteil".
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von Petra Nellen
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Im April 2012; stellte Marco
Birn im gut besuchten Universitätsarchiv seine Monographie über
die Anfange des Frauenstudiums in Heidelberg der Öffentlichkeit vor.
Sie ist zu-gleich die Magisterarbeit des Autors und wurde vom Freundeskreis
für Archiv und Mu-seum der Universität Heidelberg gefördert;
eine Ausstellung im Archiv begleitete die Veröffentlichung.
In vier
Kapiteln beschreibt der Autor die Anfange des Frauenstudiums in Heidel-berg,
beginnend mit der Gasthörerin Sofja Kovalevskaja i869 bis hin zu
den Immatrkula-tionszahlen der Studentinnen des Jahres 1918 (497 eingeschriebene
Studentinnen bzw. 17.7% der gesamten Studentenschaft).
Im ersten
Abschnitt rekapituliert Marco Birn den Forschungsstand zur Ausgangs-situation
im 19. Jahrhundert. Ideologische Grundlagen wie das dualistische Geschlech-terkonstrukt,
pseudowissenschaftliche Nachweise über die mangelnde intellektuelle
Leistungsfähigkeit der Frau bis hin zum Fehlen von Bildungseinrichtungen,
die Frauen zum Abitur und damit zur notwendigen Voraussetzung für
ein Hochschulstudium führten, schufen eine Gemengelage, die es Frauen
praktisch unmöglich machte, ein Hochschul-studium zu absolvieren.
Während
die Frauenbewegung vehement für die Zulassung der Frauen zum Hochschulstudium
kämpfte, wurde die Universität Heidelberg selbst quasi zum Schau-platz
des Pro und Contra im Kleinen. Nach einer liberalen Phase beginnend mit
dem Antrag Sofja Kovalevskajas 1869 kam es 1873 durch einen Senatsbeschluss
zunächst zu einem rigorosen Ausschluss weiterer Gasthörerinnen.
Erst als die naturwissen-schaftlich-mathematische Fakultät 1891 intervenierte
und zudem durch das badische Kultusmi-nisterium unterstützt wurde,
konnten in den 1890er Jahren wieder vermehrt Frauen als Gasthörerinnen
verzeichnet werden. 1894 setzte die gleiche Fakultät -wieder mit
Unterstützung des Kultusministeriums - ebenfalls die Möglichkeit
zur Promotion für Frauen durch.
Parallel
zur spürbaren Öffnung der Heidelberger Universität gegenüber
dem Frau-enstudium schuf die Frauenbewegung Fakten, indem sie Mädchen
und jungen Frauen die Möglichkeit verschaffte, das Abitur abzulegen.
In Baden wurde die Einrichtung des Karlsruher Mädchengymnasiums
wegweisend. Nachdem die ersten Schülerinnen das Abitur abgelegt hatten,
blieb das Kultusministerium bei seiner fortschrittlichen Politik und ließ
Frauen an den badischen Universitäten Heidelberg und Freiburg zur
ordent-lichen lmmatrikulation zu. Eine Zäsur in der Geschichte
der Frauenbildung.
Marco
Birn untersucht im zweiten und dritten Kapitel seiner Arbeit die quantitative
Entwicklung des Frauenstudiums in Heidelberg unter den neuen Bedingungen.
Er stützt sich auf umfangreiches Datenmaterial des Universitätsarchivs,
deren elektronische Er-fassung der frühere Direktor Prof. Dr. Werner
Moritz initiierte. Demnach blieb in den ersten Jahren bis zum Sommersemester
1904 die Anzahl der Studentinnen durchaus überschaubar. Dies erlaubt
es Birn, eine ganze Reihe der ersten Studentinnen einzeln vorzustellen
Die Zeit ist geprägt durch die parallel anwesenden Gasthörerinnen
und ordentlich immatrikulierter Studentinnen. Statistische Auswertungen
z.B. zu Alter, Her-kunft. Vorbildung und Fächerwahl trifft Birn sinnvoller
Weise für diesen Zeitraum also nur mit besonderer Vorsicht
Mit
dem Wintersemester 1904/1905 besuchten erstmals mehr ordentlich imma-triku-lierte
Frauen die Universität Heidelberg als Gasthörerinnen. 1908 fiel
auch die einschränkende Bestimmung, dass Frauen nur „Versuchs-
und probeweise" zu imma-trikulieren seien. Studierende Frauen waren
zu einer Selbstverständlichkeit geworden - wenn auch immer noch in
geringerer Anzahl als Männer: Trotz kontinuierlichen Anwach-sens
der Immatrikulationen erreichte der Studentinnenanteil 1918 in Heidelberg
17.7%. Dennoch erlaubt die Datenbasis Birn, nun valide und differenzierte
Auswertungen über die Heidelberger Studentinnen zu treffen. Mit zahlreichen
Grafiken veranschaulicht der Autor seine Ergebnisse Neben dem kontinuierlichen
prozentualen Anstieg des Frauen-studiums analysiert er Fächerwahl,
geografische Herkunft, Religionszugehörigkeit, so-ziale Herkunft
und Alter. Den größten Raum nimmt die Darstellung der Studentinnen
und ihrer Studiensituation innerhalb ihrer Fakultäten ein. Die statistischen
Angaben ergänzt Birn durch zeitgenössische Zitate von Studentinnen
und Dozenten, so dass ein recht lebendiges und zugleich differenziertes
Bild der Studiensituation in den Anfangen des Frauenstudiums entsteht.
Leider finden sich hier gelegentlich Ungenauigkeiten in der Darstellung,
die ein falsches Bild suggerieren. Weder war Camilla Jellinek Juristin
im eigentlichen Sinne (sie hörte wohl einige Vor-lesungen in Jura,
war Vorsitzende der Heidelberger Rechtsschutzstelle für Frauen und
erhielt 1930 die Ehrendoktorwürde der juristischen Fakultät)
noch war Lili Wachenheim 1918 die erste bei der BASF ange-stellte Chemikerin
(dieses Prädikat verdient Marie Baum, 1899 in Zürich promovierte
Chemikerin, die 1899 bis 1902 in der Patent-abteilung der BASF arbeitete).
Im vierten
Kapitel umreißt der Autor die Lebenssituation der frühen Heidelberger
Studentinnen. Die sozialgeschichtlich orientierte Darstellung bildet einen
lebhaften Gegenpol zur natürlicherweise trockenen Kost statistischer
Auswertungen. Basierend auf autobiografischen Quellen werden die
oftmals schwierigen Lebensbedingungen, mit denen die ersten Studentinnen
zu kämpfen hatten, sehr eindrücklich geschildert. So z.B., wenn
es um Wohnungsfragen oder den Lebensunterhalt, aber auch um die Aner-kennung
der Studentinnen in einer Männerdomäne und die Bezweiflung
ihrer intellektu-ellen Fähigkeiten geht.
Interessant
ist auch die Frage nach der Selbstorganisation der ersten Studentin-nen
in Verenen, der der Autor nachgeht. Eine erste Organisationsstruktur
bildete sich bereits im Wintersemester 1902/1903. Diese blieb aber
in der ersten Zeit ein loser studentischer Zusammenschluss, denn der Antrag
auf Anerkennung eines Vereins wur-de von der Universität aufgrund
der großen Zahl von Mitgliedern, die „nur" Gasthörerin
waren, abgelehnt. Hier kommt zum Tragen, dass es zunächst parallel
zu den ersten rite, also ordentlich immatrikulierten Studentinnen viele
Gasthörerinnen gab und somit eine Diskrepanz zwischen zahlenmäßiger
Präsenz und differierendem Status zu überbrücken war. So
nachvollziehbar die Begründung der Universität ist, ging es
selbstverständlich um mehr als die bloße formale Anerkennung
eines Studentinnenvereins. Ziel der Stu-dentinnen war die Anerkennung
als vollwertige Mitglieder der Universität, die politische Teilhabe
in den Gremien der Universität und damit die unterschiedslose
Integration in die Universität.
Marianne
Weber war die Bedeutung der Organisation der neuen Studentinnen durch-aus
bewusst. Bekannt ist ihr enttäuschtes Verhältnis zu den ersten
Studentinnen, die wohl die Früchte des Kampfes der Frauenbewegung
um verbesserte Bildung ernte-ten, aber zunächst nicht bereit waren,
sich in den bewährten Strukturen der Frauenbe-wegung zu engagieren.
Der Versuch, die ersten Studentinnen in den Verein Frauen-bil-dung-Frauenstudium
zu integrieren, scheiterte gründlich. Einige Jahre später jedoch
beantragten die Studentinnen auch die Aufnahme in den Dachverband der
Frauen-be-wegung Bund Deutscher Frauenvereine (BDF).
Wahrend dem
Autor mit der Thematik Marianne Weber und dem Verhältnis der ersten
Studentinnen zur Frauenbewegung ein Brückenschlag zur Heidelberg-Forschung
gelingt, bleiben weitere Konnotationen leider unbeachtet. Obwohl sozialgeschichtlich
orientiert, zieht er zum Beispiel nicht die Ergebnisse Hans-Martin Mumms
über die Pension Friedau in der Gaisbergstraße zu Rate, in
der 40% der studierenden Pensions-gäste Frauen waren (vgl. Jahrbuch
zur Geschichte der Stadt 2011). Ebenso fehlt der Rekurs auf die Frauengeschichtsforschung
seit den 1980er Jahren. Hier wurden ohne die heutigen Möglichkeiten
der elektronischen Datenverarbeitung und ohne die Wert-schätzung
dieser Thematik bereits beachtliche Ergebnisse publiziert. Exemplarisch
sei-en Heidi Lauterer-Pirner und Margret Schepers-S.-W. Margret Schuchard
oder Gerlinde Horsch genannt.
Inhaltlich
wäre ein Ausblick über Baden und das Jahr 1918 hinaus wünschenswert.
Eckdaten zur Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium im übrigen
Deutschen Reich und im Ausland wären aufschlussreich, um die badischen
Bedingungen auch in einen größeren Kontext einordnen
zu können. Die Darstellung des Siegeszugs des Frauenstu-diums im
gewählten Zeitrahmen von 1869-1918 Ist schlüssig. Jedoch zeigt
eine Be-trachtung der ersten Nachkriegsjahre nach dem Ersten Weltkrieg,
dass es sich nicht um ein Kontinuum stetig zunehmender Anerkennung handelte.
Nach 1918 kam es zu einem tiefgreifenden Rollback, das alle Ressentiments
gegen das Frauenstudium wieder auf-leben ließ. In den Nachkriegsjahren
mussten Frauen im Zulassungsantrag einen „be-rechtigten Grund"
für ihren Studienwunsch in Heidelberg nachweisen. Ansonsten blie-ben
die Studienplätze vorrangig den heimkehrenden Soldaten vorbehalten.
Die
Stärke der Monographie liegt in der detaillierten Auswertung der
Datenbasis des Universitätsarchivs. Damit leistet sie einen wichtigen
Beitrag zur Erforschung von Stadt und Universität Heidelberg. Durch
die Verknüpfung mit Zitaten aus den Autobio-graphien der frühen
Studentinnen erreicht der Autor ein hohes Maß an Lebendigkeit in
der Darstellung.
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